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20   Ausgabe 24                        Dit is’ HISTORY                                WWW.DITISIT.DE

                    RENAISSANCE-THEATER BERLIN:


                                    EIN JAHRHUNDERT

                               THEATERGESCHICHTE

           VON ART-DÉCO DER 20ER JAHRE UND SCHAUSPIELLEGENDEN
         18. Oktober 1922: genau vor   verantwortete, von Seiten des
         hundert Jahren, das Renais- „Berliner Tageblatts“ (Fritz Engel,
         sance-Theater Berlin nimmt  † 3. Februar 1935), er gab dem
         den Spielbetrieb auf – gezeigt   Stück “[...] drei oder fünf Tage [...]“
         wird Ephraim Lessings „Miss   und Herbert Ihering († 15. Januar
         Sara Sampson“.            1977) „Daß Theodor Tagger, der
         Neben den Berlinern begeister-  Direktor des Renaissance-Thea-
         te unter anderem Alfred Döblin   ters, einem Theater Willen und
         († 26. Juni 1957) - „Ein vorzüg-  künstlerischen Charakter geben
         liches, wirkliches Ensemble trug   kann, glaube ich nicht. Denn er
         das Stück vor dem mitgenom-  hat schon als Schriftsteller kei-
         menen, nicht zu großen Publi-  nen künstlerischen Charakter.“,
         kum über die Bühne. [...] Man   beide bedeutende Theaterkri-
         spiele das Stück an vielen Orten.“  tiker in den 20ern, überwogen
         die Premieren-Aufführung des   jedoch Glückwünsche an den
         Trauerspiels rund um Sara und   Regisseur und seinem Team,
         ihrem Mellefont mit dem tragi-  Gertrud Kanitz (Miss Sara) und
         schen Ende.               Theodor Loss (Mellefont) ob der
         Einige kritische Stimmen gab es   gelungenen Premiere.
         damals natürlich auch, neben  Tagger blieb bis Juli 1926 Direk-
         persönlichen Angriffen auf   tor des Theaters, welches an-
         die Person des Schriftstellers   schließend erneut umgebaut
         Theodor Tagger, alias Ferdinand   und erweitert wurde. Gustav
         Bruckner, welcher als frischge-  Hartung († 14. Februar 1946)   Is‘ schon schön hier im Renaissance-Theater Berlin: Das obere Foyer.
         backener Theaterdirektor den   übernahm bis zur Schließung   Foto: Renaissance-Theater Berlin
         Umbau 1922 und die Premiere   des Hauses 1929. Das finanziel-  le Fiasko seiner überdimensio-  lerisch herausragende Tradition
                                                             nierten Operette „Pariser Leben“  in und für diese Stadt.
                                                             erzwang diesen Schritt. Robert   Kein leichtes Erbe das Guntbert
                                                             Klein († 1958) und Alfred Ber-  Warns (63), selbst seit 2012 Mit-
                                                             nau († 1950) hielten in der Folge   glied des Renaissance-Ensem-
                                                             den Spielbetrieb bis 1942 soweit   bles, antrat, als er 2020 die Lei-
                                                             es ging am Leben. 1942: Das   tung des Hauses als Intendant
                                                             Haus muss auf Anordnung der   übernahm. Er folgt damit auf den
                                                             Nationalsozialisten endgültig   Spuren von Kurt Raeck, Horst
                                                             schließen.                Mesalla, Heribert Sasse, Knut
                                                             Am 27. Mai 1945 nahm das Re-  Boeser, Gerhard Klingenberg
                                                             naissance-Theater trotz Kriegs-  und vor allem Horst-H. Filohn.
                                                             schäden als erstes Theater und   Allesamt haben sie die Berliner
                                                             eines der wenigen verblieben in  Theaterlandschaft besonders
                                                             Berlin, den Spielbetrieb wieder   geprägt und nach Kriegsende
                                                             auf. Gespielt wurde „Der grüne   neu gezeichnet.
                                                             Kakadu“ von Arthur Schnitzler,  Der Mauerfall verändert die The-
                                                             ein lustiges Spiel um Wahrheit   aterlandschaft disruptiv, große
                                                             und Lüge, und als weiteres Stück   Namen allein zogen nicht mehr.
                                                            „Der Kammersänger“ von Frank   Horst-H. Filohn, seit 1977, nach
                                                             Wedekind. Beide Inszenierun-  seiner Flucht aus der DDR, Tech-
                                                             gen wurden vom kulturell aus-  nischer Leiter und seit 1984
                                                             gehungerten und zerbombten   Geschäftsführer des Hauses,
                                                             Berlin gerne, ja geradezu be-  wird 1994 Intendant des Renais-
                                                             geistert, aufgenommen.    sance-Theaters.
                                                             Das Theater und seine     Nahezu zeitgleich wurden die
                                                             Schauspiellenden          staatlichen Förderungen der
                                                             Adele Sandrock, Rudolf Platte,  Theater im Zuge der Umwäl-
                                                             Hubert von Meyerinck, Hilde   zungen und knappen Kassen
                                                             Hildebrandt, Theo Lingen und   in Berlin zusammengestrichen.
                                                             Grete Weiser, Maximilian Schell,  Keine leichte Aufgabe - bis heute
                                                             Horst Buchholz, Lotti Huber,  für die Theater dieser Stadt. Mit
                                                             Mario Adorf, Gunter Gabriel,  einer Stückauswahl, die sich an
                                                             Hardy Krüger sowie Judy Win-  internationalen Erfolgen orien-
                                                             ter und Harald Juhnke u.a. - alle   tiert, gelingt es Filohn, das Haus
                                                             waren sie da! Bis heute erfindet   für Schauspieler und Zuschau-
                                                             sich Art-Déco-Juwel in Berlin   er attraktiv zu halten. Erfolge
                                                             immer wieder neu und offenbart   wie „Marlene“ mit Judy Winter
         Das Renaissance-Theater Berlin um 1920. Foto: Imago  eine reiche und vor allem künst-  oder „Das Atelier“ mit Udo Samel
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